Innovation & Produktentwicklung 

05.10.2020
uservon Erich Liegl
Mag. Erich Liegl

Mag. Erich Liegl

Managing Partner

Villach, Österreich

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Wie rüstet sich die Hotellerie für das neue „Work-Life-Blending“?

Seit März 2020 haben eine ganze Reihe neuer anglizistischer Termini in unseren Wortschatz Einzug gefunden. „Bleisure“, „Workation“, „Hotel-Office“, „Holiday-Office“, „City-Retreat“, „Co-Working-Areas“, „HolidayWorkingZone“ etc. wurden im touristischen und hotelgewerblichen Kontext immer wieder genannt. Im Detail unterscheiden sich diese verschiedenen Begrifflichkeiten, aber eines haben alle gemein: Sie resultieren aus dem Mega-Trend „New Work“ – der zunehmenden Verschmelzung unserer Arbeits- und Freizeit-Welten.

„New Work“ beschreibt einen epochalen Umbruch der Arbeitswelt. Dieser gesellschaftliche Paradigmenwechsel macht die Arbeit mobil – im zeitlichen und räumlichen Sinne. Dadurch entwickeln sich neue Chancen für die Hotellerie. Die Entwicklungen rund um die Covid-19-Pandemie agieren in Bezug auf die Veränderungen der Arbeitsstrukturen als ein Trendbeschleuniger. Der krisenbedingte Digitalisierungsschub macht unser Arbeiten agiler, flexibler und digitaler. Die Notwendigkeit der Nutzung des Home-Office machte deutlich, dass wir mittels Remote Work relativ ortsunabhängig arbeiten können – sofern ein schneller Internetanschluss vorhanden ist. Dies öffnet viele neue Türen und ermöglicht eine Entzerrung der ewigen Konflikte zwischen den Sphären Arbeit und Freizeit. Das ehemalige Modell „Work-Life-Balance“ wurde nun vom „Work-Life-Blending“ abgelöst. Die Grenzen zwischen Arbeitsleben und Freizeit verschwinden, womit persönliche Bedürfnisse im Tagesverlauf besser wahrgenommen werden können.

Je nach beruflichen Anforderungen, persönlicher Lust und Laune, Flexibilität der Freund:innen, Hobby, Wetter, Terminen, familiärer Situation usw. wird beispielsweise am Vormittag eine Ski- oder Radtour gemacht, ein Museum besucht oder mit Freund:innen ein ausgedehntes Frühstück genossen, am Nachmittag an zwei Video-Konferenzen teilgenommen, die Mails beantwortet und ein Angebot erstellt und am Abend bearbeitet man nach einem feinen gemeinsamen Abendessen mit drei Kolleg:innen ein Großprojekt in der Co-Working-Area eines Hotels in der Innenstadt. Dies steigert nicht nur die persönliche Lebensqualität, sondern führt auch zu deutlichen Produktivitätsgewinnen. Aus diversen Zukunftsprognosen lässt sich ableiten, dass die klassische Arbeitszeit nicht mehr als ein Stundenpensum gilt, das abgesessen werden muss, sondern als flexibles Kontingent, das sich der jeweiligen Lebenssituation und -phase anpasst.

Diese Entwicklungen bringen für die klassische Hotellerie respektive für den gesamten Tourismus signifikante Potenziale mit sich: Freizeit-Reisen werden sich nicht mehr ausschließlich auf die fünf oder sechs Urlaubswochen beziehungsweise auf die Wochenenden beschränken, sie werden auch außerhalb dieser klassischen „Frei-Zeiten“ verstärkt stattfinden. So kann ein Hotel als Holiday-Office gleichzeitig als Arbeitsplatz und Urlaubs-/Freizeit-Location genutzt werden. Bleisure, eine Kombination aus Business & Leisure, sowie Workation, also Work & Vacation, können zukünftig als strategische Positionierungs-Säulen, neue Angebotspakete, zentrale Marketing-Begriffe genutzt werden und das sowohl für die Resort- und Stadt-Hotellerie als auch für ganze Stadt- und Urlaubs-Destinationen.

Vom Business- zum Bleisure-Hotel
Bleisure und Workation – in beiden Fällen geht es darum, das Angenehme mit dem Notwendigen zu verbinden. Wodurch also unterscheiden sich die beiden Begrifflichkeiten?

Bleisure kombiniert klassische Business-Aufenthalte (das Hauptmotiv liegt in der Geschäftsreise) mit freizeittouristischen Attraktionen, Aktivitäten und Annehmlichkeiten. Daher eignet sich Bleisure insbesondere für Business-Hotels, die zukünftig im Freizeit-Motiv ihrer Gäste ein Marktpotenzial sehen. Bei Workation ist es genau umgekehrt: Hier kombiniert man seine Reise bzw. seinen Urlaub mit der Arbeit. Der Arbeits-Laptop wird Teil des Reisegepäcks und die Zeit wird in Arbeits- und Frei-zeit geteilt, je nach Notwendigkeit und Wetter. Übrigens: „Arbeit kann eine sehr nützliche Schlechtwetter-Alternative an verregneten Urlaubstagen sein!“ Was beuteten diese gesellschaftlichen Paradigmenwechsel nun für die Hotels? Was kann man tun, damit ein Hotel zum Bleisure- oder Workation-Hotel wird und wie können die sich daraus ergebenden Potenziale genutzt werden?

Bei Bleisure werden für die Manager:innen drei Fragestellungen relevant:

  • Wie attraktiv muss unser Freizeit- Angebot sein, um im zukünftig schrumpfenden Business-Markt zu den Besten zu gehören?
  • Welche freizeittouristischen Angebote führen zu einer Aufenthaltsverlängerung der Businessgäste?
  • Wie erreicht man verstärkt neue Zielgruppen aus dem Leisure-Segment?

Insbesondere im Bleisure-Bereich spielt auch die freizeittouristische Attraktivität der Destination bzw. Stadt eine entscheidende Rolle, um für einen Bleisure-Aufenthalt attraktiv zu sein. Dies bedeutet auch, dass bis dato klassische Business-Destinationen in Zukunft freizeittouristische Produkte entwickeln müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Je schwächer das entsprechende Destinations-Umfeld, desto stärker muss das Hotel selbst zur Bleisure-Destination werden.

Storytelling und Dienstleistungspakete aus der Resort-Hotellerie
Was können klassische Businesshotels tun, um ihren „Sexappeal“ zu erhöhen? Um den Bleisure-Gast zu begeistern, reicht es sicherlich nicht aus, eine Übernachtung mit Frühstück zu verkaufen – es braucht mehr. Der Bleisure-Gast will nicht nur ein komfortables Hotelzimmer anmieten, er möchte Erlebnisse kaufen. Das bedeutet für das Marketing, den Reisenden direkt zu erreichen und Erfolgsbausteine wie z.B. Storytelling aus dem Individualgast-Marketing zu übernehmen – weg vom klassischen Zimmerangebot, hin zum Geschichtenerzählen. Um vom Eintreffen des Gastes im Hotel an Erlebnisse zu kreieren, braucht es mehr als den klassischen Hotelconcierge.

Ein zentrales Element für Erlebnisse in einem Hotel sind die öffentlichen Flächen, beginnend bei der Hotellobby. Verstaubte Lobbykonzepte, wie man sie leider noch oft in klassischen Businesshotels vorfindet, sind längst nicht mehr am Puls der Zeit. Der moderne Reisende wünscht sich Open-Lobby-Konzepte mit fließenden Übergängen zwischen den einzelnen Nutzungsbereichen. Für den Bleisure-Gast spielen dabei Arbeitsmöglichkeiten in der Lobby eine zentrale Rolle. Neben dem Lobbykonzept ist die Gastronomielösung ein zentraler Erfolgsfaktor auf dem Weg zu mehr „Sexappeal“. Zahlreiche Hotelbetreiber:innen haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass ihre Hotels durch attraktiv gestaltete Gastronomiekonzepte zu einem Treffpunkt für die gesamte Nachbarschaft werden. Dies lockt wiederum den klassischen Individualgast in den Betrieb. Ein hervorragendes Beispiel sind die 25hours Hotels, die sich mit ihren F&B-Konzepten an allen Standorten zu einem lokalen „Place to be“ entwickelten. Um das zu erreichen, werden neben Open-Lobby, Gastronomie und hochmotivierten Gastgeber:innen an der Rezeption und im Service auch attraktive Hotel-Infrastruktur-Angebote von Fitness über Spa bis hin zu Kinderspiel-Einrichtungen usw. benötigt. Der Fokus wird auf hybriden multifunktionalen Raumlösungen liegen. So kann beispielsweise ein Seminarraum am Wochenende zum attraktiven zusätzlichen Ruheraum für die Sauna mutieren oder mit wenigen dekorativen Umgestaltungen und einem entsprechenden Partner für frühmorgendliche Yoga-Übungen genutzt werden – wie es Seminarhotels in Urlaubsdestinationen schon lange vorleben. Im Wesentlichen gilt es, erfolgreiche Dienstleistungsaspekte aus der Resort-Hotellerie zu übernehmen.

Urlaubshotels ziehen mit Working-Areas nach
Das zunehmende Work-Life-Blending eröffnet aber auch der Freizeit- und Urlaubshotellerie neue Chancen. Hat sich das Arbeitsleben in der Vergangenheit zum Großteil auf „Monday–Friday, 9–5“ abgespielt, so verändert sich dies aktuell und vor allem in den Generationen Y und Z grundlegend. Die Digitalisierung und die Bereitschaft vieler Unternehmen, Arbeitszeit und Arbeitsort flexibel zu gestalten, hat uns Möglichkeiten eröffnet, sowohl Arbeits- und Freizeit als auch Arbeits- und Urlaubsort individuell zu harmonisieren. „Workation“ lautet das Zauberwort dieser Zielgruppe.

Was braucht es, um ein Urlaubshotel „workation-fit“ zu machen?

1. Highspeed-W-Lan auf dem gesamten Areal
Die unabdingbare Basis-Voraussetzung dazu bildet ein gut funktionierendes High-Speed-Internet. Es muss problemloses Arbeiten zu jeder Zeit und an jedem Platz im Resort ermöglichen. Die Herausforderung liegt darin: eine Videokonferenz mit zehn Teilnehmer*innen am Bildschirm in einer Hängematte unter zwei Apfelbäumen im Hotelgarten durchführen zu können.

2. Urlaubs-Ambiente und Arbeitsplatz-Ergonomie im Zimmer
Die Wohlfühl-Atmosphäre eines Urlaubshotel-Zimmers muss erhalten bleiben und die Arbeitsplatz-Ergonomie muss ergänzend einziehen. Schreibtisch, Stuhl, Licht, Bildschirm und Kaffee müssen Office-Qualität erlangen. Die Herausforderung liegt darin, vier Stunden am Stück konzentriert und ungestört arbeiten zu können, ohne Augen- bzw. Kreuzschmerzen zu bekommen oder aufgrund eines zu schmalen Tisches mit den Knien permanent an der Wand anzustoßen.

3. TV-Gerät wird zum 2. Bildschirm
Wie in nahezu jedem Büro wäre es fein, wenn man zum Notebook einen zweiten Stand-Bildschirm hätte. Die vielfach schon vorhandenen Smart-TVs können diese Funktion übernehmen, sofern Bluetooth oder UMTS-Kabel vorhanden sind. Die Herausforderung liegt darin, den Bildschirm auf Augenhöhe und durch das Verschieben des Schreibtisches auf Arbeitsdistanz zu bringen.

4. Co-Working-Areas
für gemeinsames Arbeiten. Workation kann man auch gemeinsam mit Kolleg:innen machen. Daher braucht es auch Co-Working-Areas im Hotel, wo man zu jeder Zeit und ungestört gemeinsam an einem Projekt arbeiten kann. Erste Beispiele zeigen, dass es schon Unternehmen gibt, die es Mitarbeiter:innen offensiv anbieten, ein kreatives Projekt in einem Hotel-Park zu finalisieren. Die Herausforderung liegt darin drei Arbeitskolleg:innen mit ihrem jeweiligen Partner ein paar Tage Ski- oder Mountainbike-Workation in den Alpen anzubieten und ihnen gleichzeitig zu ermöglichen, ihr Großprojekt erfolgreich abzuschließen und über Videokonferenz dem Vorstand zu präsentieren.

5. Mitarbeiter-Training
Eine neue Zielgruppe mit anderen Ansprüchen, Bedürfnissen, Wünschen und Verhaltensweisen erfordert einen entsprechenden Zugang als Gastgeber:in. Zu den klassischen Dienstleistungsansprüchen der Urlaubsgäste kommen noch die eines Business-Gastes. Das erfordert ein entsprechendes Mindset und Verhaltenstraining entlang der Workation-Guest-Journey bei allen Mitarbeiter:innen im Hotel. Die Herausforderung liegt darin, die sechs Workation-Gäste liebevoll wie Urlaubsgäste zu empfangen und beim Begleiten aufs Zimmer, neben den Bademantel-Größen auch die Licht-Qualität beim Schreibtisch zu checken und den Gästen zu erklären, wie man den Fernseher zum zweiten Bildschirm umfunktioniert.

Kleine Investitionen, großes Potenzial

Zusammenfassend sehen wir in Zukunft großes Potenzial für die Hotellerie, wenn es darum geht, die Welten aus Arbeit, Urlaub und Freizeit zu verschmelzen. Oft sind es nur kleinere Investitionsimpulse, Innovationen und Verhaltensänderungen in der Software oder auch nur neue Angebotsentwicklungen, die ein Hotel zum perfekten Ort für den Geschäftsreisenden der Zukunft machen. Klassische Businesshotels können sich diesbezüglich einiges von der Ferienhotellerie abschauen und Angebotsaspekte in ihr Konzept integrieren. Ebenso wird die Ferienhotellerie einen Blick auf die Businesshotellerie werfen und versuchen, von den Profis zu lernen. Für Bleisure und Workation braucht es das Gemeinsame und Beste aus beiden Welten. Gerade jetzt, in der sich abzeichnenden Post-Corona-Zeit, wird es in der Hotellerie darauf ankommen, die Menschen vom Home-Office ins Holiday-Office zu bringen, sie zu animieren, ihre Partner:innen, Freund:innen, Familien und Notebooks einzupacken und sich wieder einmal richtig bedienen und verwöhnen zu lassen.

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